S.K.H. der Großherzog von Luxemburg
„Europa im Wandel: Herausforderungen und Chancen inmitten globaler Veränderungen“
Europäische Stiftung Kaiserdom zu Speyer
18. November 2024
Es gilt das gesprochene Wort
Herr Ministerpräsident Beck,
Bischof Wiesemann,
Königliche Hoheit,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist mir eine große Freude und Ehre, heute hier im Dom zu Speyer, über Europa zu reden. Nachdem mein Sohn Prinz Guillaume die letzten Jahre Mitglied des Kuratoriums war, bin ich sehr froh dieses Mandat zu übernehmen und heute selbst dabei zu sein.
Der Dom ist weit mehr als nur ein prachtvolles Bauwerk der Romanik. Er steht symbolisch für das europäische Erbe und die Einheit des Kontinents. Er ist ein Ort, an dem sich die Wege von europäischer Religion, Politik und Kultur im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gekreuzt haben.
Die Beziehungen zwischen den europäischen Königshäusern, die im Mittelalter das politische Gefüge des Kontinents formten, spiegeln sich in vielen Verbindungen wider, die über Jahrhunderte zwischen Herrscherhäusern und dem Dom geknüpft wurden.
In dem Zusammenhang ist der Dom auch für mich von großer persönlicher Bedeutung. Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen dem Dom und meiner Familie: mein Urahn, König Adolf von Nassau, ist hier bestattet. Als letzte Ruhestätte zahlreicher königlichen und adligen Familien Europas, wird der Dom so zu einem europäischen Ort des Gedenkens und der Begegnung.
Im Lichte dieser Symbolik ist es demnach mehr als passend, gerade hier über die Rolle Europas in der heutigen Welt zu sprechen, über die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, und über die Werte, die uns auch in schwierigen Zeiten leiten sollten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Europa steht vor einer Zeit tiefgreifender Veränderungen.
In einer globalisierten Welt, in der der technologische Fortschritt rasch nach vorne geht, der Klimawandel immer drängender wird, und geopolitische Spannungen die internationale Zusammenarbeit sehr schwierig machen, muss die Europäische Union ihre Zukunft aktiv vorbereiten. Unser Kontinent steht vor großen Herausforderungen, aber auch vor vielfältigen Chancen.
Der Wandel ist enorm und die Frage ist, wie Europa ihn aktiv mitgestalten kann, um sich nicht nur anzupassen, sondern eine führende Rolle in der Welt von morgen einzunehmen. Lassen Sie mich einen Blick auf die zentralen Herausforderungen und Chancen werfen, die das Europa von heute prägen.
Wir leben in einer zunehmend multipolaren Welt, die von geopolitischen Spannungen geprägt ist:
- der Aufstieg Chinas und Indiens,
- der russische Angriffskrieg in der Ukraine,
- die gefährliche Situation im mittleren Osten,
- und die transatlantische Partnerschaft nach der Wahl in den USA.
Europa steht vor der Herausforderung seine Rolle auf der globalen Bühne zu stärken.
Um die Krisen an den Außengrenzen der EU und die Flüchtlingssituation in den Griff zu bekommen, darf Europa nicht isoliert handeln. Das gilt ebenso für internationale Handelskonflikte. Dazu kommt die wachsende Bedeutung von Cyber- und Datensicherheit, welche uns bewusst machen, wie verwundbar wir sind.
Die Antwort auf alle diese Herausforderungen kann nur in einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit liegen. Europa muss seine Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiterentwickeln, die strategische Autonomie stärken und gleichzeitig ein verlässlicher Partner auf der globalen Bühne bleiben.
Dies erfordert nicht nur mehr Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch eine intensivere Abstimmung mit internationalen Partnern, um multilaterale Lösungen für globale Probleme zu finden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Zitat aus der Rede lesen, welche Jean-Claude Juncker, der damalige Premierminister Luxemburgs, 2003 hier gehalten hat:
„Wer denkt, die Dämonen, die die dramatische Frage unseres Kontinents, die Frage um Krieg und Frieden, immer wieder in der europäischen Geschichte zugunsten des Krieges entschieden haben, würden schlafen, der irrt sich. Die Dämonen schlafen einen sanften Schlaf und es braucht kein großes Gewitter, damit sie wieder wach werden. Deshalb ist diese Friedenssicherungsaufgabe eine europäische Aufgabe, die nie ganz erledigt sein wird. Friedenssicherung ist eine Aufgabe, die wir jeden Tag aufs Neue in Angriff nehmen müssen.“
Diese Worte gelten heute mehr als je zuvor.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Der technologische Fortschritt, künstliche Intelligenz, Automatisierung und Digitalisierung verändern die Art und Weise, wie wir arbeiten, lernen, leben und denken.
Diese Entwicklungen haben enorme Potenziale: eine effizientere Wirtschaft, neue Geschäftsmodelle und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.
Doch sie bringen auch Risiken mit sich, insbesondere im Hinblick auf den Verlust traditioneller Arbeitsplätze und die wachsende Kluft zwischen jenen, die Zugang zu neuer Technologie haben, und jenen, die zurückbleiben.
Deshalb muss Europa entschlossen handeln und durch gezielte Investitionen in Weiterbildung seine Bürger auf die Arbeitsplätze der Zukunft vorbereiten. Hier liegen große Chancen, Europa als globalen Innovationsführer zu positionieren, vorausgesetzt, wir schaffen es, Innovation und Inklusion miteinander zu verbinden.
Eine andere, wohl die größte Herausforderung unserer Zeit, ist der Klimawandel. Europa hat sich zu Recht große Ziele gesetzt, um dieses Problem zu meistern.
Mit dem „European Green Deal“ strebt die Europäische Union an, bis 2050 klimaneutral zu werden. Diese grüne Transformation erfordert jedoch tiefgreifende Veränderungen in allen Bereichen unserer Gesellschaft – von Energie über Industrie bis hin zu unserem täglichen Leben.
Hier liegt eine doppelte Chance für Europa. Einerseits können wir durch den Übergang zu erneuerbaren Energien und nachhaltigen Technologien neue wirtschaftliche Impulse geben. Andererseits kann Europa als Vorreiter im globalen Klimaschutz auftreten und Standards setzen.
Doch dieser Wandel muss gerecht gestaltet werden. Wir dürfen die Menschen, die am meisten von den Veränderungen betroffen sind, nicht zurücklassen. Das erfordert soziale Gerechtigkeit als zentrales Element der Klimapolitik.
Denn auch der soziale Zusammenhalt innerhalb Europas wird zunehmend auf die Probe gestellt.
Die Einkommensungleichheit wächst in vielen Teilen des Kontinents, während die Auswirkungen der Globalisierung und der technologischen Transformation ungleich verteilt sind. Wenn wir nicht alle Bürger mitnehmen, besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in die europäischen Institutionen schwindet und populistische Bewegungen noch stärker werden.
Um dem entgegenzuwirken, müssen wir sicherstellen, dass unser wirtschaftlicher Fortschritt allen zugutekommt.
Ein starkes soziales Sicherheitsnetz, das den Menschen in Zeiten des Wandels Unterstützung bietet, ist dabei unerlässlich. Darüber hinaus müssen wir in Bildung, Gesundheit und bezahlbaren Wohnraum investieren, um sicherzustellen, dass niemand abgehängt wird.
Inmitten all dieser Herausforderungen stellt sich auch die Frage, wie Europa seine kulturelle Vielfalt, seine demokratischen Werte und seine soziale Marktwirtschaft bewahren kann. Die europäische Integration war immer ein Projekt des Friedens und der Zusammenarbeit, das auf gemeinsamen Werten basiert.
In Zeiten des Wandels und der Unsicherheit müssen wir uns erneut auf diese Werte besinnen und sie aktiv verteidigen – sowohl innerhalb unserer Grenzen, als auch in der Welt.
Dies bedeutet, dass wir die Rechtsstaatlichkeit, den Schutz der Menschenrechte und die Demokratie in allen Mitgliedstaaten und auf allen Ebenen verteidigen müssen. Dazu gehören auch offene inner-europäische Grenzen. Die EU ist mehr als nur eine wirtschaftliche Gemeinschaft – sie ist eine Wertegemeinschaft, die sich den Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität verpflichtet hat.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wo steht Luxemburg in diesem komplexen Gefüge? Welche Rolle spielt mein Land in diesem Prozess? Wie können wir als Land aktiv zur Bewältigung dieser Herausforderungen und zur Nutzung der Chancen beitragen?
Lassen Sie mich einen genaueren Blick darauf werfen wie Luxemburg als kleines, aber auch wohlhabendes Land der EU, sich zu den Punkten positioniert und seine Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft wahrnimmt.
Was Digitalisierung und technologische Innovation angeht, will Luxemburg ein Vorreiter sein.
Wir haben uns frühzeitig auf diesen Wandel eingestellt. Mit gezielten Investitionen in digitale Infrastrukturen, Innovation und Forschung.
Initiativen wie „Digital Luxembourg“ unterstreichen unsere Ambitionen, nicht nur als Finanzplatz, sondern auch als digitales Innovationszentrum in Europa.
Luxemburg investiert stark in den Aufbau von Kompetenzen im Bereich künstliche Intelligenz, Blockchain, Cybersicherheit und Raumfahrt, und zieht damit internationale Unternehmen und Talente an. In einer zunehmend vernetzten Welt ist diese Ausrichtung eine große Chance, nicht nur für Luxemburg, sondern auch für Europa.
Zum Thema Klimawandel und nachhaltige Entwicklung will Luxemburg als Modell für die grüne Transformation angesehen werden.
Luxemburg unterstützt die Ziele des „European Green Deal“ und geht in vielen Bereichen voran. Unser Land setzt auf den Ausbau erneuerbarer Energien, die Förderung nachhaltiger Mobilität und den Schutz natürlicher Ressourcen.
Besonders hervorzuheben ist der kostenlose öffentliche Verkehr, den Luxemburg als weltweit erstes Land eingeführt hat. Dies ist nicht nur eine Maßnahme zur Entlastung des Verkehrs, sondern auch ein klares Signal, dass Luxemburg bereit ist, innovative Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel zu erproben.
Doch die grüne Transformation ist kein einfacher Prozess. Sie erfordert große Investitionen, neue Formen der Energiegewinnung und eine Umstellung ganzer Industrien.
Luxemburg hat erkannt, dass der Erfolg nur dann nachhaltig ist, wenn er allen zugutekommt. Deshalb gehören Soziale Gerechtigkeit und Inklusion zu den Prioritäten.
Unsere Sozialpolitik, die starke Unterstützung für Familien, Arbeitslose und benachteiligte Gruppen bietet, zeigt, dass Luxemburg sozialen Zusammenhalt ernst nimmt.
Besonders in Zeiten des Wandels müssen wir sicherstellen, dass niemand zurückgelassen wird. Dazu gehört auch die Integration von Migranten und die Sicherstellung, dass alle Menschen Zugang zu Bildung und Weiterbildung haben, um sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.
Zusätzlich besteht für Luxemburg eine besondere Herausforderung: rund 50 % der Bevölkerung besteht aus Nicht-Luxemburgern. Diese Situation bringt sowohl Chancen als Herausforderungen mit sich.
Integration und soziale Kohäsion sind ein zentrales Thema: es gilt sowohl soziale als auch kulturelle Unterschiede zu überwinden und gleichzeitig die luxemburgische Identität zu bewahren. Multikulturelle Offenheit und das Bestreben, integrative Lösungen zu finden, sind enorm wichtig.
Unsere sprachliche Vielfalt ist eine Chance, kann aber auch eine Herausforderung sein: im luxemburgischen Bildungssystem müssen Schüler oft mehrere Sprachen beherrschen, was für Kinder ausländischer Familien eine Belastung darstellt.
So ist Mehrsprachigkeit zwar ein großer Vorteil, aber auch eine potenzielle Hürde für die erfolgreiche schulische Integration von Kindern, die zu Hause eine andere Sprache sprechen.
Durch innovative Lösungen im Schulsystem versuchen wir allen Kindern den bestmöglichen Start ins Leben zu geben.
Am Arbeitsmarkt spielen die ausländische Bevölkerung, sowie die 250.000 Pendler aus den Nachbarländern, eine enorm wichtige Rolle. Sie schaffen eine dynamische Wirtschaft. Wir sind ihnen allen sehr dankbar, denn ohne sie würde die Luxemburger Wirtschaft nicht funktionieren.
Was die Rolle Luxemburgs in der europäischen Außenpolitik angeht, hat unser Land sich immer als Brückenbauer innerhalb Europas und darüber hinaus verstanden.
Als Sitz zahlreicher europäischer Institutionen und als aktiver Verteidiger der europäischen Integration bemüht sich mein Land um die Förderung des Multilateralismus und des Dialogs zwischen den Nationen.
Besonders in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unterstützt Luxemburg die europäische Zusammenarbeit. Dies bedeutet auch, dass wir uns weiterhin für internationale Zusammenarbeit und friedliche Lösungen von Konflikten einsetzen werden.
Wir wollen die Zukunft Europas mitgestalten. Als wohlhabendes und innovatives Land haben wir in diesem Prozess eine besondere Verantwortung. Unsere Stärke liegt nicht nur in unserer Wirtschaftskraft, sondern auch in unserer Fähigkeit, Lösungen für globale Probleme im europäischen Kontext zu entwickeln und voranzutreiben.
Luxemburg engagiert sich aktiv in den Debatten über die Zukunft Europas, sei es in Fragen der wirtschaftlichen Integration, der Migration oder des Klimaschutzes.
Seit Jahrzehnten haben unsere Regierungen, egal welcher Couleur, eine pro-europäische Haltung gefördert, die auf Zusammenarbeit, Solidarität und gemeinsamer Verantwortung basiert. Denn Luxemburg ist sich bewusst, dass die Herausforderungen, vor denen Europa steht, nur zusammen bewältigt werden können.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Europa im Wandel – das ist mehr als nur eine Herausforderung, es ist eine historische Chance. Der Kontinent steht vor enormen Aufgaben: wirtschaftliche Transformation, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und geopolitische Stabilität.
Doch in all diesen Herausforderungen liegen auch große Möglichkeiten. Wenn wir die richtigen Weichen setzen, kann Europa stärker, gerechter und nachhaltiger aus diesem Wandel hervorgehen.
Es liegt an uns allen – Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmer und Politiker – diesen Wandel aktiv zu gestalten. Wenn wir mutig vorangehen, Innovation und Inklusion miteinander verbinden und unsere Werte bewahren, wird Europa nicht nur den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sein, sondern auch ein Vorbild sein.
Vielen Dank!